Bei Schamanen: das Schamanenlied

Bei Schamanen: das Schamanenlied

Wir werden zum Holzholen für das abendliche Lagerfeuer weggeschickt. Mir fällt auf, dass der nahe Wald bereits wie sauber gefegt aussieht. Wahrscheinlich, weil der Mann der Köchin täglich mehrmals für die Kochstelle ebenfalls Feuerholz sammeln muss.

Am Nachmittag  ziehen Wolken auf und es wird angenehm kühler. Ich knie wieder in der Wiese zur Meditation. Nach einer Stunde werde ich in die Ritual-Holzhütte gerufen. Drinnen erwartet mich Borchoch, der neue burjatische Schamane und verbindet mir die Augen. Er streicht mich und meine Aura mit seinem eigentümlichen Rasselstab ab und ich entspanne augenblicklich.

Bei Schamanen: das Schamanenlied

Er beginnt mit dem Stab um mich herum rhythmisch zu rasseln und säuselt und zischelt mir dazu wie der Wind ins Ohr. Ich bin wie hypnotisiert und tauche ab in eine andere Dimension. Textzeilen tanzen vor meinem inneren Auge… währenddessen vollführt mein Körper ein mir fremdes Ritual, bis er sich aufbäumt und hintüber kippt.

Wieder sind meine Gliedmaßen blutleer und wie gelähmt. Borchoch streicht mich nach einer Wodkadusche mit seinem Stab vorsichtig ab. In meinen Körper kommt wieder Leben und ich fühle mich frischer als zuvor.

Mein Ahnengeist lässt mich tanzen

Es geht gleich weiter. Ich soll mich vor die Zeremonienjurte knien und wieder meditieren. Drinnen trommeln drei Schamanen. Ich fühle mich wie im Vollrausch und kippe ein paar Mal in die Wiese. Die Textzeilen wiederholen sich ständig in meinem Kopf, wie ein Mantra. Als ich an die Reihe komme und in die Jurte geholt werde beginnen die Schamanen das Tranceritual mit Rasseln und Maultrommelspiel. Ich wippe, schaukel und breche beim Einsetzen der Trommel wie ohnmächtig zusammen. Und wieder vollführt mein Körper seltsame Tanzbewegungen mit Oberkörper und Händen, diesmal jedoch nicht mehr so marionettenhaft. Meine Hände fliegen wie beim indischen Tempeltanz durch die Luft. Nachdem ich wieder zurückgeholt wurde starren mich die drei Schamanen fasziniert an.

„Very, very good“ flüstert mir eine zu.

Mir ist bewusst, dass ich das, was „ich“ hier gerade dargeboten habe, niemals willentlich hätte vollführen können. Ich tanze zwar sehr gerne und gehe zuhause auch in Tanzstunden, bin da aber eher ein Grobmotoriker. War mein Ahnengeist eine Tänzerin? Spricht er tanzend durch mich? Ich fühle mich, wie wenn ich einer großen Entdeckung auf der Spur wäre.

Mein Schamanenlied

Ich wanke zur Schlafjurte und schreibe die Textzeilen auf. Stimmt eine nicht ganz, oder fällt mir nicht mehr ein, spannt und zieht es an meinem Hinterkopf solange bis der Text passt. So entsteht ein schönes Gedicht, mit 24 Zeilen. Der Text für mein eigenes Schamanenlied?

Denn jeder Schamane hat sein eigenes Lied um seinen Ahnengeist zu rufen.

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